Ein aufmüpfiger Ziegenbock im Klassenzimmer
Der Schulalltag Anfang des 20sten Jahrhunderts
Landkreis – Wenn am kommenden Dienstag nach sechs Wochen Ferien wieder die Schule beginnt, stehen den Buben und Mädchen moderne Einrichtungen mit viel Komfort zur Verfügung. Wie anders doch vor 150 Jahren, als die Schüler in notdürftig hergerichteten Räumen – oft mit Hilfe des Rohrstocks – unterrichtet wurden. Eine detaillierte Beschreibung über die Schulverhältnisse aus dem oberbayerischen Dorf Etterschlag gibt Schullehrer Joachim Königbauer (1849 bis 1935) in seinem Werk „Eine Kindheit auf dem Dorf“.
Erster Unterricht fand zu Königbauers Zeit auf dem Heuboden des so genannten Schlossbauerns in Walchstadt statt. Betriebskosten entstanden nicht, da man sich das Heizen dank des darunter liegenden Pferdestalls weitgehend sparen konnte. „Holz zum Heizen brauchte man wenig, denn im Herbste wurden um den Bretterverschlag Grummet gelagert, und das hielt sehr warm. Außerdem war unter dem einfachen Bretterboden der Pferdestall, der zur Beheizung des Schulzimmers beitrug“, schreibt Königbauer 1925 rückblickend über seine eigene Schulzeit. Und dann erzählt er eine aus heutiger Sicht lustige Geschichte, die jedoch damals für große Aufregung sorgte. In Walchstadt nämlich gab es etliche Geißbauern. Der für die Nachkommen zuständige Bock aber wurde beim Schlossbauern im Pferdestall gehalten. Da der einfache Heuboden im Laufe der Jahre relativ breite Fugen aufwies, war es für die Buben ein Freude, sich auf den Boden zu legen und das Treiben unterhalb zu beobachten.
„Eines Tages entdeckte einer den Geißbock. Er sah ihn mit seinen scharfen Augen, hörte ihn auch meckern und seine Nase, wenn sie auch kurz und breit war, roch den gehörnten Spitzbart ganz deutlich. Der Scharfe Geruch rief in dem Buben einen ganz merkwürdigen Gedanken wach.“ Ja, heute würde man sagen, „nix gscheits net ist ihm eingefallen“. Stand doch auf dem Stundeplan unter anderem ein Unterricht über die Nützlichkeit de Haustiere und da dachte sich der Bub: „Wie wäre es, wenn wir den Bock zum Anschauungsunterricht hoch in die Schule brächten. Jetzt ist gerade Mittagspause, da ginge es.“
Gedacht getan. Unterstützung fand er bei weiterer Buben, denn der widerspenstige Bock hatte Null Bock, sich über die Stiege ins obere Stockwerk zu quälen. Letztendlich aber gelang es. Den Mädchen und Buben aber, die in den Plan nicht eingeweiht waren und nichtsahnend gerade ihr Pausenbrot verzehrten, blieb dieses regelrecht im Halse stecken, als die Tür durch einen kräftigen Stoß aus der Angel gehoben wurde und der Geißbock ins Zimmer stürmte. „Der Bock“, schrien die Schüler durcheinander und versuchten sich durch Sprünge auf Bänke und Tische vor dem als böse verschrienen Geißbock zu retten.
Der Schlossbauer aber hörte das Geschrei und sah nach dem Rechten. „Als der Bock wieder im Stalle war, kam auch der Herr Lehrer wieder vom Mittagessen zurück, hörte von der Sache und erlitt eine arge Verdauungsstörung. Er vertrat mit dem Stocke sehr kräftig die Anschauung, dass zur Besprechung der nützlichen Haustiere die Geiß dem Bock vorzuziehen gewesen sei, und dass man die Geiß auch auf Hof und Wiese hätte beobachten können. Gleicher Anschauung war auch der gestrenge Pfarrherr von Weßling, weshalb es am nächsten Sonntag in seinem Pfarrhof eine hochnotpeinliche Untersuchung gab, um die Übeltäter öffentlich zu strafen. Das Ergebnis dieser Untersuchung wurde nachmittags in der Kirche demonstriert. Man sah vorne vor dem Altar zwei Buben stehen. Aus der Sakristei kam der Herr Pfarrer, ging zügig auf die Buben zu, machte rasche Handbewegungen von links nach rechts und von rechts nach links, die einen klatschenden Schall hervorbrachten. Doch damit nicht genug. Den zwei Buben wurde außerdem ein überdimensionaler Rosenkranz mit Perlen, so groß wie eine Kinderfaust, um den Hals gehängt. Die ganze Gemeinde sah und hörte lautlos zu, denn der Herr Pfarrer führte ein strenges Regiment.“ Überliefert ist nicht, ob gar Joachim Königbauer einer der zwei Buben war. Nur so viel: „Solche Untersuchungsergebnisse traten in Weßling fast jeden Sonntag in Erscheinung, wobei in sehr vielen, man kann sagen, in den meisten Fällen, die Buben aus Etterschlag oder Walchstadt die Rosenkranzträger waren.“