LORIOT UND DIE SÖCKINGER RENKEN
Die Rede zur Einweihung des Landratsamtes Starnberg hielt anno 1987 Vicco von Bülow
Landkreis – Zu den wohl bekanntesten Personen, die rund um den Starnberger See gelebt und gearbeitet haben, zählt zweifelsohne Vicco von Bülow alias Loriot. Am 12. November wäre er 100 Jahre alt geworden, was ja landauf landab gebührend gefeiert wird. Denn wie kein anderer hat Loriot den Humor der Deutschen in besonderer Weise geprägt und entsprechend Klassiker in Punkto Sketche und auch Spielfilmen hervorgebracht. Unsterblich machte er sich unter anderem mit den geflügelten Worten „Früher war mehr Lametta“ oder „Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann“. Über ihn und seine Erfolge zu schreiben? Nein, das haben bereits namhafte Autoren gebührend erledigt.
Relativ unbekannt aber ist seine geniale Rede, die er anlässlich der Eröffnung des Starnberger Landratsamtes am 5. Mai 1987 hielt. Ausgebraben hat sie Stefano Franco für das neue Starnberg-Buch, das unter dem Titel „Mia san mia und schreim uns uns“ im Frühjahr 2024 in den Handel kommt. Vorab aber soll aus gegebenen Anlass Bülows Rede für etwas Freude in der allgemein etwas tristen Zeit sorgen.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir sind Zeugen eines Phänomens: Was uns noch vor kurzem fesselte – die Beziehungen zwischen Ost und West etwa, ein Kapitalverbrechen im Freundeskreis, das drohende Ende der Menschheit und Ähnliches – es hat alles an Glanz verloren oder erscheint doch seltsam blass vor dem Hintergrund eines Ereignisses, das plötzlich und unerwartet eingetroffen ist: Starnberg hat ein neues Landratsamt.
Bevor ich jedoch in das gemeinsame Frohlocken einstimme, möchte ich mit gebotenem Ernst auf einen Umstand hinweisen, der geeignet sein könnte, den Festakt politisch zu belasten:
Ich bin – ich sage das in aller Offenheit – im Landkreis Bad Tölz Wolfratshausen ansässig und auch das erst seit vierundzwanzig Jahren. Es erhebt sich somit die Frage, ob ein Ortsfremder mit unsteter Wohnweise, ein Tourist also, im Rahmen einer so extrem bodenständigen Feierstunde, wie es die Einweihung eines Landratsamtes nun einmal ist, das Wort ergreifen sollte. Auch kommt erschwerend hinzu, dass ich infolge der Ungnade meiner nördlichen Geburt die hiesige Landessprache nicht beherrsche. Kurz, ich bin auf Ihr Wohlwollen gegenüber Auswärtigen angewiesen.
Als Gegenleistung werde ich langsam sprechen und keine Fremdworte verwenden, die uns nicht auch aus der bayerischen Presse vertraut sind.
Bevor wir das Bauwerk selbst näherer Betrachtung unterziehen, lohnt ein Blick auf die Geschichte dieser Stadt. Als früheste menschliche Ansiedlung ist die Praxis eines Hals-Nasen-Ohrenarztes nachgewiesen. Neben der einfachen Feuerstelle mit Gebirgsblick fanden sich Faustkeile unterschiedlicher Größe, die der kunstfertigen Behandlung von Mittelohr und Kehlkopf dienten. Der Patientenkreis setzte sich größtenteils aus Sängern und Schauspielern zusammen, denen hier medizinische und psychologische Hilfe zuteilwurde. Bald scheuten viele dieser auf ihre Stimme angewiesenen Zugvögel die weite Anreise. Sie ließen sich nieder und gaben der Anhöhe ihren Namen: Starenberg.
Schon wenige tausend Jahre später fand das erste Bezirksamt unterhalb des heutigen Bahnhofs in einer zwar geräumigen, aber baufälligen Badehütte Platz. Diese löste sich jedoch zu wiederholten Malen bei Nordwestwind vom Ufer und wurde erst nach mehrstündiger Fahrt über den aufgewühlten See zwischen Holzhausen und Sankt Heinrich an Land gespült. Auf die Dauer empfand man diesen Zustand als nicht zufriedenstellend, da die jeweilige Rückgabe des Gebäudes auf dem Dienstweg und der damit verbundene Schriftverkehr die zur Verfügung stehende Bürozeit zur Gänze in Anspruch nahm. Aber erst im Jahre 1902 war es dann so weit: Das Bezirksamt erhielt am Vogelanger ein eigenes, schmuckes Gebäude, das mit seinen humanen Arbeitsbedingungen weit in die Zukunft wies.
So wurden Räume, die für Damen und Herren gesondert zu kurzfristiger Inanspruchnahme vorgesehen waren, durch Einlagerung von Aktenmaterial in die Verwaltungsarbeit einbezogen und dafür die Nutzung entsprechender Räumlichkeiten im nur sechs Gehminuten entfernten Bahnhof vertraglich abgesichert. Die dadurch erforderliche tägliche Bewegung hatte sowohl eine Leistungssteigerung des Beamtenapparates als auch eine deutliche Belebung der Ortsmitte zur Folge. Ein frühes Beispiel der an glücklichen Entscheidungen reichen Starnberger Kommunalgeschichte. Leider erwies sich schon während des Zweiten Weltkrieges das Dienstgebäude als zu klein und bis zum Jahre 1972 war das Landratsamt auf zehn ausgelagerte Dienststellen verteilt. In diesem Zusammenhang sei jenen Starnberger Familien gedankt, die trotz eigener beschränkter Wohnverhältnisse zusammenrückten, um ihrer Kreisverwaltung die notwendigen Räume zur Verfügung zu stellen. Nur ein Beispiel – stellvertretend für viele – sei hier dankbar erwähnt. Das Rentnerehepaar Rudolf und Sieglinde Straublinger, am Bahndamm 12, zog sich in den Wohnraum ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung zurück, als das Amt für öffentliche Sicherheit und Ordnung im Schlafzimmer seine Arbeit aufnahm.
Am 10. März 1969 schien man der Lösung des Problems nahe. Der Kreistag beschloss die Errichtung eines neuen Landratsamtes in günstiger Nähe zum
Kreiskrankenhaus und seinen sanitären Einrichtungen. Das Grundstück warf jedoch ein neues unerwartetes Problem auf: Es lag im Bereich der Gemeinde Söcking. Da das Gesetz vorschreibt, den Landkreis nach dem Sitz des Landratsamtes zu benennen, hätte dieser in »Söcking« umbenannt werden müssen. Dies schien noch tragbar, wohingegen der Fremdenverkehrsverein auf die Bezeichnung »Söckinger See« sehr unfreundlich reagierte. Endgültig scheiterte das Vorhaben am erbitterten Widerstand der Gastronomie und ihrer Weigerung »Söckinger Renken« in die Speisekarten aufzunehmen.
Weitere sechzehn Jahre gingen in den Landkreis, bis zum ersten Spatenstich für ein Gebäude, das einzuweihen wir heute die Ehre und, wie ich meine, auch das Vergnügen haben. Zunächst als Erweiterungsbau der benachbarten chinesischen Gaststätte mit Einliegerschwimmbad konzipiert, konnte das Bauwerk mit wenigen Handgriffen seiner heutigen Bestimmung angepasst werden. Um großzügige Parkflächen und eine leistungsfähige Kantine gruppieren sich Liegeräume mit günstigem Lichteinfall und Markisen gegen drohenden Sonnenbrand.
Reichgegliederte Anbauten beherbergen Hallenboccia und Massagezentrum für den Fall, dass eine Schlechtwetterperiode die Nutzung der Minigolfanlage verbietet. Den maßvollen Arbeitseinsatz der 280 Beamten und Mitarbeiter überwachen zwei hauseigene Amtsärzte zur Vermeidung vorzeitiger Verschleißerscheinungen. Das Auffinden unseres neuen Landratsamtes ist auch für Ortsunkundige verhältnismäßig einfach: Wenn man Starnberg ostwärts verlässt, liegt es gleich rechts, nach der vierten Tankstelle, leicht zugänglich für jedermann. Aus Richtung München ist dagegen das Eindringen nur nach gewaltsamer Überwindung eines wasserführenden Wehrgrabens möglich.
Das ist vielleicht ein Zufall. Oder ist es der erste Schritt auf dem Wege Starnbergs in die Unabhängigkeit als gleichberechtigter Partner im westlichen Verteidigungsbündnis, bei aller Freundschaft mit Bayern und der Bundesrepublik? Wir wissen es nicht.
Zunächst wird in dieses anmutige Haus der Alltag einkehren mit seinem gewohnten Einerlei: Aufschüttung und Begrünung des Starnberger Sees, Eröffnung der Sommerfestspiele im Undosa-Bad mit dem »Ring der Nibelungen« und was der Dinge mehr sind.
Dem neuen Amtsgebäude, dem darin enthaltenen Herrn Landrat und seinen 280 Mitarbeitern gelten unsere herzlichen Glückwünsche!
Vicco von Bülow, 1923 in Brandenburg an der Havel geboren, zog Anfang der 60iger Jahre an den Starnberger See. 1993 ernannte ihn seine Heimatgemeinde zum ersten Ehrenbürger von Münsing. Anlässlich des Todes von Vicco von Bülow, am 22. August 2011, er wurde 87 Jahre alt, betonte Bürgermeister Martin Grasl, dass der Verstorbene in der Gemeinde immer präsent gewesen sei. Er habe sich zudem an den Wahlen beteiligt, sich für heimische Belange interessiert und sich für den Erhalt von Bauwerken eingesetzt. „Er war immer ansprechbar und mit uns verbunden.“
Beigesetzt wurde Vicco von Bülow alias Loriot auf dem Berliner Waldfriedhof. Dort ruht er in prominenter Gesellschaft, unter anderem von Bubi Scholz und Klaus-Jürgen Wussow.
IN EIGENER SACHE:
Ursprünglich sollte „Mia san mia und schreim uns uns…“ bereits vor gut einem Jahr erscheinen. Doch Corona sowie der Tod von Heinrich Frey, der aus dem Hospiz in Polling noch fleißig am Buch mit gearbeitet hat, trug zu einer Verzögerung bei. Nun bin ich aber eifrig dabei, dieses und noch andere liegen gebliebene Werke zu vollenden. Spätestens im Frühjahr 2024 wird „Mia san mia…“ erscheinen. Versprochen…!
Uli Singer