Da Fesl unterm Herrgotts-Kreuz und erotische Travestie im Saustall
Perfekt waren die Anfänge nicht - aber Spaß hat's fast immer gmacht
VORWORT: Wir leben gerade in einer Zeit, in der Traditionelles an Wert verliert, menschliche Werte dem Eigennutz zum Opfer fallen, Narzissten versuchen, die Welt zu regieren und generell der Egoismus den Altruismus verdrängt. Der neue Leitsatz: „Ich bin mir selbst der nächste!“ Kürzlich war auf Facebook die traurige Mitteilung einer Betreiberin eines Pferdegnadenhofes zu lesen, dass sie Menschen suche, die je ein Pferd übernehmen können, weil sie keine Menschen mehr finde, die ihr bei der täglichen Arbeit behilflich sind. Ihr bleibe nur, aufzugeben. „Früher“, schrieb sie, „standen Jugendliche Schlange, die mir bei der Sorge um die Pferde zur Seite standen. Heute finde ich keinen einzigen Jugendlichen mehr, der Lust dazu hat“. Übrigens, auch sozial engagierte Vereine und politische Organisationen bleiben von dem Desinteresse mitzumachen nicht verschont. Die Betreiberin des Pferdegnadenhofes ist nur ein Fall, von denen es viele gibt. Für mich aber ein guter Zeitpunkt, öfters mal in eine Zeit zurück zu schauen, in der man noch engagierte Menschen fand – Jugendliche wie Erwachsene – die an einem persönlichen Engagement mehr Freude empfanden, als gelangweilt auf Handys herum zu klicken.
Steinebach – Travestie zwischen Herrgottskreuz und Bauernschrank Im ehemaligen „Gasthaus Raabe“ eröffnete ich 1979 die erste Kleinkunstbühne im Landkreis Starnberg. „Ja sog amoi, glaubst goa, do kimmt da Baua mit seine Kia?“, zweifelte der damalige Wirt am Erfolg der Einrichtung. Den ersten Abend bestritten dann im voll besetzten Saal der Kabarettist Holger Paetz, die Steinebacher Liedermacherin Leo Schroth und meine Wenigkeit, die fortan kabarettistisch unterwegs war.
Das Brettl entwickelte sich schnell zu einem internationalen Treffpunkt mit wöchentlichem Programm. Dazu gehörte auch, dass einmal im Jahr Pause war, weil die heimische Bauernbühne traditionell ein volkstümliches Stück zum Besten gab. Wozu sie auch eine entsprechende Kulisse aufbaute. So blieb es nicht aus, dass der Fredl Fesl unterm Herrgotts-Kreuz in einer bäuerlichen Stube sein „Felbernpfeiferl“ sang, Bruno Jonas inmitten einer kitschigen Berglandschaft über die niederbayerische Mentalität philosophierte oder Travestiekünstler Alban Roulance im stilisierten Saustall mit einem gewagten Männer-Strip begeisterte. Das Brettl wurde Sprungbrett wie auch Heimat vieler heute bekannter Künstler. Unter anderem für Willy Astor, Holger Paetz, Lisa Fitz, Bruno Jonas, Tiger Willi und Sigi Zimmerschied. Regelmäßige Gastspiele gaben aber auch die „Biermösl Blosn“, die „Mehlprimeln“, die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, Gerhard Polt, Jörg Hube, Eisi Gulp, der Ringsgwandl und Ottfried Fischer.
War der „Raabe“ dem Besucheransturm nicht gewachsen, wurden die Veranstaltungen in den Saal vom damaligen „Strandbad Fleischmann“ verlegt. Unter anderem die Konzerte Albie Donelly & Super-Charge, von Gerhard Polt wie auch eine Produktion des verstorbenen Travestiekünstlers Gordy, langjähriger Partner des Duos „Gordy & Mary“. Er präsentierte erstmals eine Frau als Travestiestar, die zwar am Wörthsee gut ankam, generell aber keine große Karriere machte. Gast war seinerzeit auch Friedl Mandl, ehemalige Betreiberin vom „Fleischmann“, die sich an ihrem alten Wirkungskreis umschauen wollte. Traurig stellte die frühere Wirtin in Punkto Gastronomie fest. „Schad’ is, dass der Fleischmann gar so heruntergekommen ist“, und schwor sich, keinen Fuß mehr in ihre einstige Heimat zu setzen. Als es noch unter Mandls Regie lief, waren königliche Hoheiten, Diplomaten, Politiker, Fußballer, Schauspieler, Piloten und die Münchner Schickeria Dauergäste im Fleischmann (Geschichte dazu folgt).
Zurück zum „Wörthseebrettl“. Mit dem Brettl-Adel kamen auch Funk und Fernsehen nach Steinebach. Diskussionsrunden wurden aufgezeichnet und Ausschnitte aus Veranstaltungen live übertragen. Das umtriebige Leben rund ums Brettl begeisterte aber auch die Jugend am Ort. Von Anfang an gehörte sie zu den treuesten Fans, boten ihre Dienste an, übernahmen den Service, die Plakatierung oder betätigten sich als Instrumenten-Schlepper für die Bands. Es waren die gleichen Jugendlichen, die später für Asylbewerber auf die Straße gingen, für den Bahnhof Steinebach um dessen Erhalt als Kulturstätte demonstrierten oder als Vorreiter im Landkreis in Eigenregie ihr eigenes Jugendhaus bauten.
Schluss war mit dem „Wörthseebrettl“, als sich die Pächter beim Raabe die Klinke in die Hand gaben. Beziehungsweise ein Betreiber als Wirt übernahm, nennen wir ihn mal Schmidt, der den Mitgliedern der Münchner „Lach & Schieß“ nach deren Auftritt im vollbesetzten Saal eine Brotzeit verweigerte. Lust habe er keine mehr und er wolle jetzt nach Hause gehen, meinte jener Schmidt. Lang blieb er auch nicht, doch die Atmosphäre beim alten Raabe war nicht mehr die, die wir gewohnt waren. Traurig über diese Entwicklung sagte Sammy Drechsel, langjähriges Mitglied der Lach & Schieß: „Uli, wenn wir zwei einmal nicht mehr sind, dann gibt es gewiss andere, die weiter machen. Doch ob die auch noch so sind wie wir, das muss sich erst noch herausstellen.“
Sammy Drechsel starb 61Jährige (1925 – 1986) viel zu früh. Es tät ihm aber auch nicht mehr gefallen, so wie sich die Welt und wie sich die Menschen verändert haben.