Andechserin brachte die Traumwelt auf Zelluloid ins Fünfseenland
In Erinnerung an Theres' Gierster - die Pionierin vom Heiligen Berg
Andechs – Bewegung war ein Leben lang das das Motto von Therese Gierster. Weshalb sie auch noch im Alter von 100 Jahren in Andechs ihren zahlreichen Hobbys nachging. Dazu gehörte täglich das gute Gebräu der Mönche zu genießen und gar kräftig mitzumischen, wenn heiße Diskussionen angesagt waren. Die Stammgäste im Klosterbräu-Stüberl kannten die umtriebige Dame und freuten sich, wenn sie auftauchte. Denn nicht nur in der Politik und bei Alltagsproblemen kannte sich die Theres` aus, wie sie liebevoll genannt wurde. Spannend war es jedes Mal, wenn sie von ihren Unternehmungen und Erlebnissen aus einem langen Leben erzählte. Theres‘ Gierster war es nämlich, die im Landkreis Starnberg und darüber hinaus das Wanderkino einführte.
Geboren wurde Therese Gierster am 8.Januar 1895 in Marktl am Inn. Wegen ihres Mannes, von Beruf Forstbeamter, den sie 1920 heiratete und der als Revierförster nach Andechs berufen wurde, verschlug es auch die junge Mutter ins Fünfseenland. Dorthin, wo sie eine außergewöhnliche Karriere einschlug und bahnbrechende Pionierarbeit leistete. Sie gehörte zu denjenigen, die sich gleich nach Kriegsende für das Traumleben auf Zelluloid interessierte. „Da ließe sich doch ein Geschäft daraus machen“, war die Theres` überzeugt. Gedacht, getan. Sie überlegte nicht lange und gründete das erste Kino wie auch ein Wanderkino im Fünfseenland.
Ein Lichtblick für die nach einem normalen Leben dürstenden Menschen in der eher tristen Nachkriegszeit war Therese Gierster. Doch nicht nur das Kino war es, mit dem die Neu-Erlingerin für Abwechslung sorgte. Die mit einer gehörigen Portion Humor ausgestattete Frau, heute würde man sie unter Comedian einstufen, sorgte schon vor Eröffnung ihrer Kinos für vielerlei Unterhaltung, indem sie als Entertainerin ihr Publikum begeisterte. Ach ja, gemalt hat die passionierte Jägerin auch. Die Bilder schmückten die urige ehemalige Jagdhütte, die auf dem höchsten Punkt von Andechs stand und in der sie mit ihrem Sohn bis zu ihrem Tod im Alter von 101 Jahren lebte.
Mit dem Filmgeschäft begann alles 1946 im „Andechser Hof“ in Herrsching. Im so genannten Apollo-Theater lief der erste Film. Ein Jahr darauf lockte schon ein Freilichtkino auf dem Gierster-Grundstück im Andechser Ortsteil Erling hunderte von Besuchern an. Um die Scheinwelt auch optimal darzustellen, hub die erfinderische Veranstalterin ein großes Erdloch aus. Darüber baute sie ein Miniatur-Bauernhaus und stellte einen Projektor, den ihr die Amerikaner vermieteten, darunter. Zwischen zwei dicke Bäume spannte sie eine große Leinwand, sorgte für bengalische Beleuchtung und stellte sich bis zum Beginn der Vorstellung an die Abendkasse.
„Meine Preise waren absolut volkstümlich und lagen damals bei 75 Pfennigen“, erzählte Gierster anlässlich ihres 100. Geburtstages anno 1995. Stolz war sie damals darauf, dass trotz des großen Andrangs nie jemand abgewiesen werden musste. Die Leute brachten einfach Sitzkissen mit und bekamen stets Einlass. Das einzige Problem waren seinerzeit die zahlreichen Mückenschwärme, die die Freiluftveranstaltung gewaltig beeinträchtigten. Doch die einfallsreiche Cineastin fand auch dafür eine Lösung. Sie sprühte reichlich Insektenmittel und schrieb in großen Lettern auf das Kinoplakat: „Vorstellung heute ohne Mücken“.
Aus einem Projektor wurden sechs. Sohn Hubert, der mittlerweile aus der Gefangenschaft zurückgekommen war, stieg begeistert in das Unternehmen mit ein. Mittlerweile war auch das Wanderkino aus der Taufe gehoben. „Laton-Lichtspiele“, abgeleitet von Land- und Tonlichtspiele, zog über Land und spielte auf Hinterhöfen, in Altenheimen und Krankenhäusern.
Prominentester Gast im Anfangsjahr war Zara Leander, die gerade zu Filmaufnahmen für „Ave Maria“ auf dem Heiligen Berg weilte. Gersters letzten Vorstellungen liefen mit „Herr der sieben Meere“ 1969 in der Unfallklinik Murnau und in der Herzklinik Höhenrain.
Sich dem Wandel der Zeit anpassend, gründete die Filmlady nach Aufgabe des Wanderkinos eine Fahrschule. Überflüssig zu sagen, dass aus der ersten Fahrschule ein Imperium wurde, aus dem sie dann 1972 ausstieg. Den Führerschein übrigens legte Therese Gierster erst nach ihrem 90. Geburtstag in die Schublade. 1996 stürzte das Andechser Original so unglücklich, dass sie sich den Oberschenkelhals brach, ins Krankenhaus eingeliefert wurde und sich davon nie mehr erholte. Sie starb am 2. August 1996 im Alter von 101 Jahren.