Gilching – Auch wenn man sie wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen muss, es gibt sie noch: Menschen, für die Gilching seit ihrer Kindheit ein Stück Heimat ist. Dazu gehört unter anderem Dr. Helmut Pabst, der Gilching-Online folgende Geschichte erzählt hat:
„Die Jahre nach dem Krieg habe ich noch in Gilching verbracht. Unsere Wohnung in der Donnersbergerstrasse 5 war mit Flüchtlingen belegt. Immerhin hatte unser Vater das Schlafzimmer und eine kleine Speisekammer behalten dürfen. Er selbst wurde in München als Schutt-Räumer eingesetzt. Erst 1949 durfte er wieder eine Praxis führen und wir bekamen peu a peu unsere Zimmer in unserer alten Wohnung zurück, dann wenn einer der Flüchtlingsfamilien ausgezogen ist. Erst Mitte 1950 konnte auch ich dann zurück nach München. Bis dahin hatte ich eigentlich ein wunderbares Leben. Bei Schopenhauer habe ich mal gelesen: „Die Tage der Kindheit waren Tage, frei von Sorgen, sorgefreie Tage. Deshalb sehnen wir uns nach den goldenen Tagen der Jugend.“
Versuche ich an diese Jugendtage zurück zu denken, stelle ich fest, dass ich mich nicht erinnern kann, unglücklich, hungrig oder gar traurig gewesen zu sein. Auch als unser Vater an Sylvester 1951 tödlich verunglückte, haben wir zwar alle geweint, anschließend aber, so gegen drei Uhr morgens, eine Eisbombe aufgefuttert. Die Zeit in Gilching aber war für mich, aber auch für meinen Bruder Jochen, stets mit einem goldenen Schimmer schöngefärbt. Was mit daran lag, dass wir kleineren Kinder unter anderem nach der Kartoffelernte wie auch nachdem der Weizen abgemäht war, sozusagen die Nachlese übernehmen durften. Wir sammelten also die kleinen Kartöffelchen aber auch die abgeknickten Ähren. Von letzteren wurden dann die Körner ausgepuhlt und in einer alten Kaffeemühle, die in der Küche an der Wand hing, grob gemahlen. Mit Wasser und wenig Salz vermengt, Salz war damals Mangelware, wurde der Schrot aufgekocht. Diese „Grütze“, geschmacklich mit Rüben- oder Tannensirup aufgebessert, wurde ratzeputz aufgegessen.
Es muss so um 1978 gewesen sein, als Jochen und ich uns über diese Zeit und die wunderbare Grütze, die uns vorzüglich geschmeckt hatte, unterhielten. Da machte ich den Vorschlag, am Viktualienmarkt Getreide zu besorgen, und wie in früheren Zeiten den Schrot in einer alten Kaffeemühle zu mahlen, um daraus eine schmackhafte Grütze zu bereiten. Weil wir nichts falsch machen wollten, fragten wir unsere Mutter nach dem Original-Rezept. Rübensirup hatten wir bereits gekauft. In Vorfreude auf den köstlichen Brei schaufelten wir uns auch gleich eine anständige Portion auf unsere Teller. Und wie es oft so mit schönen Erinnerungen an längst zurückliegenden Ereignissen ist, sie lassen sich nicht wiederholen. Trotz Rübensirup und auch Appetit, wir hätten den Versuch lassen sollen. Regelrecht erschrocken waren wir, über den faden Geschmack. Gut erzogen, haben wir dennoch unsere Teller leer gegessen, gleichzeitig aber geschworen: Nie wieder eine Grütze. Und der Herrgott wolle uns davor bewahren, je wieder in diese Zwangslage zu kommen.“
Anmerkung der Redaktion: Man schrieb das Jahr 1930, als der Vater, Dr. Heinrich Pabst, zufällig den Sägewerksbesitzer Melchior Fanger aus Gilching kennenlernte, der dem Münchner Arzt ein Grundstück an der heutigen Melchior-Fanger-Straße verkaufte. Es war zu einer Zeit, als die Stadtbevölkerung – auch wegen der neuen Zugverbindung – das Umland entdeckte, um sich dort ein Wochenendhaus zu errichten. „So viel ich aus Erzählungen meines Vaters weiß, war es gar nicht so billig. Er musste außerdem in Gold bezahlen“, erzählt Dr. Helmut Pabst. Für die Kinder, Bruder Jochen wurde 1935, Helmut Pabst 1942 geboren, dazu kamen vier ältere Geschwister, sei es damals in Gilching eine schöne und auch aufregende Zeit gewesen. Helmut Pabst, noch heute als Arzt aktiv, wohnt mit Familie nach wie vor an der Melchior-Fanger-Straße. Bruder Jochen ist erfolgreicher Kunst-Maler und wohnt in Königsdorf.